Wann ist ein Mensch eigentlich tot?

6922955729_6c1a64e0d4_o

Wann ist ein Mensch tot? Komische Frage? Es scheint ein schmaler Grat zu sein, auf dem wir uns derzeit bewegen. Sterbenskranke Menschen liegen regungslos im Bett. Rein äußerlich erscheinen sie dem Tod näher zu sein, als dem Leben. Das Herz schlägt schwach, aber es schlägt. Laut Gesetz ist ein Mensch erst tot, wenn das Gehirn aussetzt. Diagnosen und Forschung sind geteilter Meinung: Organspende und Menschlichkeit – ein Dilemma der Gesellschaft.

Seit den letzten Skandalen in der Organspenden-Affäre befindet sich die Gesellschaft in einem Dilemma. Zum einen fehlen lebenswichtige Organe bei Operationen, zum anderen mag niemand mehr Organe spenden. Zu tief sitzt das Misstrauen. Und ja, ein Nebenschauplatz beschreibt dazu die Frage, wann eigentlich ein Mensch klinisch tot ist? Was diese Frage mit der Organspende zu tun hat? Medizinisch gesehen gilt die Organentnahme als Übergang zum Tod. Werden die lebenswichtigen Organe entnommen, stirbt auch der Körper. Die Seele ist dabei nicht gemeint. Wenn also alle Lebensfunktionen eines Organismus endgültig stillstehen, ist der Tod eingetreten. Nach medizinischen Kriterien ist dies ein Vorgang, der in mehreren Stufen abläuft: Der klinische Todesfall tritt ein, wenn Herzschlag und Atmung aussetzen. In dieser Phase kann der Mensch unter Umständen durch Herzmassage und künstliche Beatmung wiederbelebt werden.

Hirntod gilt juristisch als Todeszeitpunkt

Schlägt diese Reanimation fehl, erleidet zuerst das Gehirn durch die fehlende Versorgung mit frischem Blut irreparable Schäden. Sein besonders aktiver Stoffwechsel und seine geringe Kapazität, Energie zu speichern, machen dieses Organ stark anfällig für jegliche Unterbrechung der Sauerstoff- und Nährstoffzufuhr. Der Hirntod gilt heute juristisch als Todeszeitpunkt. Mit ihm versiegt auch die elektrische Aktivität des Gehirns – Wahrnehmung, Bewusstsein und die zentralnervöse Steuerung elementarer Lebensfunktionen fallen für immer aus. Dem stimmt auch der Mediziner Jürgen Schneider zu. Der Transplantationsbeauftragte des Klinikums rechts der Isar: „Mit dem Hirntod wird naturwissenschaftlich und medizinisch der Tod des Menschen festgestellt. Daran gibt es für mich keinen Zweifel.“

Das andere Extrem zeigt beispielsweise die Krankenschwester Karin Stübner. Sie arbeitet am Neuro-Kopf-Zentrums des Klinikums rechts der Isar: In der Intensivpflege habe ich häufig engen Kontakt zu hirntoten Menschen. Meine Kollegen und ich versuchen über eine begrenzten Zeitraum, das Organsystem der Patienten aufrechtzuerhalten.“ In der “GEO WISSEN Vom guten Umgang mit dem Tod” erklärt sie, dass die Würde des Menschen dabei im Mittelpunkt steht.

Unsere Nachbarn, andere Diagnose

Das Dilemma zeigt sich bei unseren Nachbarn. In Frankreich, den Niederlanden, Italien, Großbritannien, Spanien und der Schweiz gilt die Organspende bereits nach Herzstillstand als gängige Praxis. In Deutschland unvorstellbar. So wurde das sogenannte Nichtanrühren bei herztoten Patienten innerhalb der letzten Jahre von 20 Minuten aus 10 Minuten verkürzt, bei Babys sogar auf bis zu 15 Sekunden verkürzt. Dabei ist es bewiesen, dass Menschen bei Herzstillstand noch drei Stunden danach wiederbelebt werden können. Letzteres ist natürlich auch fraglich. Dennoch, alleine deswegen sträubt man sich in Deutschland eine zeitliche Begrenzung einzuführen.

Nehmen wir nun Abstand von der medizinischen Grundsatzdiskussion, ist ein Mensch organisch tot, wenn kein leben mehr in ihm steckt. Sprich, der Gehirntod beschreibt noch keinen Leichnam. Doch kann man da noch von menschlich reden? Die Diskussionen werden weiter geführt werden. Grundsätze werden neu ausgelegt. Wie die Zukunft ausschaut? Ich denke da 20 bis 30 Jahre voraus: Organe werden angepflanzt – künstlich erzeugt. Seit 2010 ja auch kein Hexenwerk mehr. Doch ist das mit unserem Gewissen vertretbar, kann die Gesellschaft mit dieser Künstlichkeit leben? Ich bin mir da nicht sicher. Sie etwa?

Bild: CC BY-NC-SA 2.0 Author: Jonas Ginter

Leave a Reply