Totenmasken: Warum uns der Blick ins Antlitz der Toten schon ewig berührt und fasziniert
Wenn uns jemand sehr fehlt, versuchen wir besonders intensiv uns sein Gesicht ins Gedächtnis zu rufen. Auch deshalb sind Totenmasken eine besondere Form des Andenkens. Eine der wohl bekanntesten Totenmasken ist die des im 14. Jahrhundert vor Christus herrschenden ägyptischen Pharaos Tutanchamun, die nach ihrer Entdeckung 1922 weltberühmt wurde. Welche Tradition und welche Funktion haben solche Totenmasken eigentlich, wenn es um das Gedenken an die Toten geht, und warum üben sie eine derartige Faszination aus?
Wo liegt der Ursprung „begraben“?
Auch wir kennen hierzulande Totenmasken meist eher von berühmten Persönlichkeiten her. Im alten Ägypten, Rom, China oder Mexiko und auch bei den Hopi-Indianern legte man den Verstorbenen Totenmasken auf ihr Gesicht. Dies tat man, um sie vor bösen Geistern zu beschützen oder, wie in bei den Ägyptern, um den Geist der Verstorbenen in ihr neues, jenseitiges Zuhause zu geleiten. Die goldene Maske von Tutanchamun war natürlich ursprünglich nicht dafür gedacht, dass sie später im Museum senkrecht ausgestellt werden sollte, sondern dafür vorgesehen, dass sie den König bedecken sollte und dies im Liegen geschieht. Sie geriet neulich in die Schlagzeilen, weil der berühmte Bart abgebrochen war. Genau genommen ist sie aber eher eine Art Plastik, da sie nach ästhetisch-gestalterischen Gesichtspunkten geformt worden zu sein scheint, wie sie in der ägyptischen Darstellungskunst üblich waren und weshalb sie wohl kaum das tatsächliche Antlitz des Pharaos abbildet. Mithilfe solcher Masken sollte früher vor allem die Unsterblichkeit des Geschlechts gesichert werden, wodurch ihre Bedeutung lange im religiös-magischen Bereich angesiedelt waren – so wie etwa auch die Totenabbilder der Römer, die als Andenken Büsten durch Bildhauer erstellen ließen. Die ersten Totenmasken wurden deshalb überwiegend aus Holz oder Stein gefertigt.
Wie aus Masken ganze Puppen wurden
Bereits zu Zeiten der italienischen Renaissance dienten Gipsabgüsse der Verstorbenen Bildhauern als Vorlagen für Bildnisse der Betreffenden. Die Vorgehensweise, ein komplettes Ganzkörperabbild des Verstorbenen zu schaffen, praktizierten die Engländer erstmals, als sich die öffentliche Bestattung von Edward II von England im Jahr 1337 aus gegebenen Umständen um drei Monate verzögerte. In Frankreich wurde es schließlich im Spätmittelalter gebräuchlich, die Totenmaske des verstorbenen Königs weitestgehend lebensecht zu imitieren. Diese puppenähnliche sogenannte Effigies sollte es ermöglichen, die Trauerfeiern über weitere Tage hinauszudehnen, wo diese Ganzkörperskulpturen aus Holz, Draht und Gips anstelle des Toten saßen. Um sie so echt als möglich aussehen zu lassen, setzte man ihnen bemalte Glasaugen ein und klebte ihnen hierfür sogar echte Haare an. Neben der bisher üblichen Ahnenverehrung kam hierbei auch das Ansinnen auf, die Unvergänglichkeit bestimmter Herrschaftslinien zum Ausdruck bringen zu wollen. Bis ins 18. Jahrhundert war die Totenmaske eigentlich ein „Hilfsmittel“ zur Anfertigung der Effigie. Die Abkehr von dieser „adeligen Schaupuppe“ kam mit der Beisetzung des Schriftstellers Gotthold Ephraim Lessing. Mit seinem Tod wurde die Totenmaske quasi „bürgerlich“. Sie gilt als erste aus Pietät abgenommene Maske und damit als ein eigenständiges Kunstwerk 1791. Seine Freunde ließen sie anlässlich seines Todes für das Trauerzeremoniell als Erinnerungsstück anfertigen.
Des Rätsels (Er-)Lösung oder der „Pop-Star“ unter den Totenmasken
Für einige verrieten diese Totenmaske aber „viel mehr“. Ende des 18. Jahrhunderts glaubten die Menschen in ihr eine Möglichkeit zu sehen, das Geheimnis über die wahre Persönlichkeit zu erfahren. Sie waren der Überzeugung, dass im Angesicht des Todes auch das wahre Gesicht in Form des Charakters eines Menschen zum Vorschein kommen würde und versuchten, daraus etwas abzulesen. Begründer einer solchen Betrachtungsweise war der Schweizer Pastor Caspar Lavater, der mit seinen “Physiognomischen Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe“ (1775–78) eine Anleitung schuf, verschiedene Charaktere anhand der Gesichtszüge und Körperformen zu erkennen. Daraus entwickelte sich ein eigener Kult, der einen besonderen Höhepunkt fand, als ein Bestatter in Paris einen Abdruck des Antlitzes einer jungen Frau fertigte. Diese Gipsmaske wurde x-fach kopiert und landete schließlich als Einrichtungsaccessoire in zahlreichen Pariser Haushalten. Die „Unbekannte aus der Seine“ würde berühmt wegen ihres besonders friedlichen Gesichtsausdruckes und zum Symbol des Todes als eine unbeschwerte Erlösung. Die junge Selbstmörderin war um 1900 tot aus dem Wasser geborgen worden und wurde durch die ungewöhnlich hohe Vervielfältigung ihrer Totenmaske nicht nur für die Pariser Bohème ein morbides Kultobjekt, sondern bot auch Jahre später noch Stoff für Literatur und Musik. Aber auch in die Kriminalistik und in der Medizin fanden Totenmasken ihren Eingang. Dort dienten sie als Lehr und Anschauungsmaterial.
Andere Länder, andere Sitten
Früher widmeten die Mexikaner den Toten einen ganzen Monat im Jahr. Dieser „Día de Muertos“ – auf Deutsch „Tag der Toten“, hat eine lange Tradition in Mexiko. Auch heute noch werden dort zu diesem Anlass die Friedhöfe bunt dekoriert. Am letzten Tag finden in den meisten Orten zudem farbenprächtige Paraden statt und es wird in einer Art Picknick an den Gräbern ein Festessen veranstaltet – die Stimmung ist dabei heiter und jahrmarktähnlich. Auch wenn das Spektakel um Allerheiligen herum stattfindet, von Trauer ist hier keine Spur vorhanden – man feiert die „Begegnung mit den Toten“. Um das Ganze herum hat sich inzwischen sogar eine Art „Merchandising“ entwickelt – besonders beliebt sind Totenköpfe (auch aus Schokolade) und Skelette. Sinnbild ist der typische Totenkopfschädel von „La Catrina“, dessen äußerliche Aufmachung ursprünglich in der prähispanischen Kultur zu finden ist: Die Mexikaner verkleiden sich mit den typischen Accessoires und schminken sich entsprechend: Das Gesicht wird ganz weiß, mit schwarzer Farbe werden die Augenhöhlen und Nasenöffnungen hervorgehoben und der Mund eines Totenschädels mit entblößten Zähnen und sarkastischem Gesichtsausdruck dargestellt. Diese Art der Gestaltung ist auf Künstler zurückzuführen, welche das Genre der „calaveras“ schufen, einer karikaturistischen Darstellung des Todes, die heutzutage in ihrer geschminkten Ausführung eher an Karneval erinnert – mit der ursprünglichen mexikanischen Totenmaske hat dies nichts mehr zu tun.
Den letzten Moment verewigen
Totenmasken sind heute auch noch eine mögliche Form in der Trauerverarbeitung, um noch einmal den spezifischen Gesichtsausdruck einzufangen und festzuhalten. Die Herstellung erfolgt inzwischen kaum noch mit einem „Gipsnegativ“, sondern mit einem modernen Abformverfahren aus Silikon. Ihre Herstellung muss nicht sofort erfolgen – man hat nach dem Ableben des Verstorbenen bis zu vier Tage Zeit. Eine solche detailgetreue Nachbildung, welche auch feinste Elemente wie Haaransatz und Augenbrauen mit abbildet, kann man auch zusätzlich vervielfältigen. Mit dem Moment der Abnahme kann darüber hinaus auch eine Handlung des persönlichen Abschieds verbunden werden.
MeinStein Redaktion: Dr. Silvija Franjic
Literatur:
Julian Blunk: Das Taktieren mit den Toten. Die französischen Königsgrabmäler in der Frühen Neuzeit. Wien 2011, S.52.
Links:
http://www.schoen-e-berg.de/index.php/totenmasken-18/die-geschichte
http://www.planet-wissen.de/kultur/brauchtum/masken/pwwbmasken100.html
http://www.mediengeschichte.uni-siegen.de/files/2011/04/Regener_Totenmasken.pdf
http://www.maskara-bonn.de/html/geschichte.html
Bildquelle: Dieter Schütz / pixelio.de